Ideenskizze zum gemeinsamen Promotionskolleg von PH Karlsruhe und Karlshochschule

Auf dem Weg zur Mensch-Medien-Hybridität

Der Wandel der Medien, ihrer Inhalte und Nutzungen prägen Gesellschaften und zwischenmenschliche Beziehungen auf allen Ebenen, in Bezug auf das Profil des Kollegs gerade auch Lern- und Bildungsprozesse sowie Organisations- und Managementprozesse. Dieser Wandel läuft in Paradigmen ab von semi-oralen Kulturen über die Buchkultur und die Kultur der Massenmedien bis zu digitalen Medienkulturen. Gegenwärtig zeichnet sich eine neuerliche Wende ab, die durch die technischen Medieninnovationen wie Smartphones, Tablets, 3D oder Social Media eingeleitet worden ist. Die Konsequenzen dieses Medienkulturwandels sind heute noch nicht annähernd abzusehen. Vieles spricht jedoch dafür, dass nach einer Phase der Hybridisierung von Medientechnologien (bspw. der Verschmelzung von Text, Bild und Bewegtbild im World Wide Web) mit Entwicklungen wie mobilen Medien, wearable media und auch ‚smarten’ Alltagsgegenständen zunehmend die Grenze zwischen Mensch und Medium selbst hybride wird. Medientechnologien können heute jederzeit am Körper mitgeführt werden und werden etwa nicht nur zu Informations- und Kommunikationszwecken genutzt, sondern auch dazu, um Körperfunktionen und Aktivitäten umfassend zu überwachen („self tracking“). Zugleich können visuelle Überwachungstechnologien ganze Räume zur „Schnittstelle“ der Interaktion zwischen Menschen und Computern werden lassen, wenn beispielsweise Spielekonsolen ohne „Controller“ auskommen, sondern die Bewegungen der Spieler im Raum unmittelbar im Spiel umsetzen. Es entstehen neue Konstellationen und Entitäten zwischen Menschen und Medien. Erschien McLuhans These von Medien als ‚extensions of man’ in den 60er Jahren des 20. Jahrhunderts noch als metaphorisch, so wird sie heute durch ein Versprechen von Medien als jederzeit verfügbarer Teil des Menschen überholt.

Zwei Ausgangsthesen

Das Promotionsprogramm Performing Media: Praxen und Praktiken in der Mensch-Medien-Hybridität nimmt diese Entwicklungen in den Fokus und will sie transdisziplinär ausgehend von zwei Grundthesen untersuchen:

(1) Die „doppelte Performanz“ von Medien

Wir gehen davon aus, dass Medien(technologien) gleichzeitig Lern-, Handlungs- und Kommunikationsspielräume eröffnen und begrenzen. Die Bedeutung von Medientechnologien wird dabei jedoch immer erst in konkreten Praxen und Praktiken der Anwendung bzw. Nutzung erkennbar. In diesem Sinne ist jede Form der Mediennutzung als performativer Akt zu verstehen, der in einem rekursiven und interdependenten Verhältnis gleichzeitig durch das Medium als Instrument geprägt ist und das Medium selbst durch seine konkreten Bedeutungen und Wirkungspotentialen erst hervorbringt. Es „gibt“ kein Medium außerhalb konkreter Nutzungen. Medien und ihre gesellschaftliche, kulturelle, soziale und individuelle Bedeutung werden in diesem Sinne erst durch und in Vollzug performativ hervorgebracht. Medien selbst sind Akteure. Die Verfügbarkeit von Medien und ihren Inhalten macht gesellschaftlich, sozial und kulturell einen Unterschied. Gesellschaften und Kulturen sind immer geprägt von den verfügbaren Medienensembles ihrer Zeit. Mithin werden Medien nicht nur von Menschen in der Anwendung ‚performt’, sie können auch selbst als ‚performative’ Akteure gesellschaftlicher und sozialer Entwicklung verstanden werden. Der Titel des Promotionsprogramms „Performing Media“ lässt sich vor diesem Hintergrund bewusst doppeldeutig lesen und spiegelt das skizzierte Verständnis einer „doppelten Performanz“ des Medialen wider, in der Medien gleichzeitig performt und produziert werden und selbst performende und produzierende Akteure sind.

(2) Hybridisierung der Mensch-Medien-Grenze

Technologien wie der Buchdruck, aber auch das (stationäre) Telefon, die Schallplatte, der Film oder das Fernsehen in ihren analogen Formen sind in dem oben beschriebenen Sinne von Menschen sehr unterschiedlich genutzt worden und haben so historisch, gesellschaftlich, sozial wie kulturell unterschiedliche Bedeutungen erlangt. Zugleich haben sie als Dispositive ihrer jeweiligen Zeit Gesellschaften geprägt und (zum Teil grundlegend) verändert. Für all diese Technologien gilt jedoch, dass es jeweils vergleichsweise klare Grenzen zwischen menschlichen Nutzern und den Medientechnologien als nicht-menschlichen Akteuren gab. In der heutigen digitalen Medienkultur, die von der Omnipräsenz mobiler Medientechnologien geprägt ist, wird diese Grenzziehung zunehmend fragwürdig. Mobile und raumumfassende Medientechnologien wie Smartphones, Tabletcomputer, Google Glass und visuelle Bewegungsüberwachung in Spielekonsolen (PlayStation Camera etc.) sowie mit ihnen verbundene Phänomene wie „always on“, Augmented Reality oder 3D führen zu einer komplexen Vernetzung, Verwebung und Verfilzung zwischen Menschen, Medien, ihren Kontexten, Inhalten und Nutzungen, die nicht nur (wie frühe Formen der digitalen Kultur) das Verhältnis verschiedener Medien zueinander hybrid werden lässt, sondern auch die Mensch-Medien-Grenze selbst.

Die Hauptzielsetzung des Promotionskollegs ist es, sich mit diesen neuen Formen des Hybriden bzw. mit den Zusammenhängen, Verschmelzungen sowie Wechselwirkungen von Menschen und Medien in verschiedenen kulturellen, gesellschaftlichen und sozialen Kontexten zu beschäftigen, sie zu beschreiben, zu analysieren sowie Konzepte zu entwickeln, die dazu beitragen, die Implikationen der emergenten Phänomene für Gesellschaft und Kultur zu verstehen und zu gestalten. Das skizzierte Verständnis von Hybridität hat Auswirkungen z.B. auf das Verständnis von Handlungskompetenzen menschlicher Akteure, auf das Verhältnis von Medium und Körper oder Medium und Kommunikation sowie auf die Beziehungen zwischen Menschen untereinander und mit nichtmenschlichen Akteuren. Eine entscheidende Frage wäre im Sinne der oben erläuterten „doppelten Performanz“ im Prozess der Mediennutzung dabei, wer oder was in spezifischen medialen Situationen handelt und wie „agency“ angesichts der hybriden Mensch-Medien-Konstellation konzipiert werden kann.

Forschungsprogramm

Ausgehend von den Profilschwerpunkten der beteiligten Partner fokussiert das Promotionsprogramm dabei insbesondere Fragestellungen von Lehr-, Lern- und Bildungsforschung sowie der Managementforschung. Dabei werden zunächst zwei Forschungsschwerpunkte gesetzt:

Forschungsschwerpunkt 1 (Lead Karlshochschule)

Die Erforschung von gesellschaftlichen Transformationsprozessen, die mit der Entwicklung und Etablierung hybrider Mensch-Medien-Konstellationen einhergehen

Die Etablierung neuer Medientechnologien ist immer zugleich eine Phase gesellschaftlichen und kulturellen Wandels. Im Sinne der oben skizzierten „doppelten Performanz“ von Medien sind dabei die emergierenden Medientechnologien zugleich als von Menschen in Performanz hervorgebracht und geprägt zu verstehen wie auch als eigen-sinnige Akteure, die in komplexen Zusammenhängen im Sinne der Akteur-Netzwerk-Theorie (ANT) eine eigene, zunächst unkalkulierbare Logik einbringen und unerwartete Effekte produzieren können. Die Einführung von E-Mails in der organisationalen Kommunikation z.B. wurde von menschlichen Akteuren zunächst zumeist unreflektiert oder in der Erwartung von Effizienzsteigerung und Beschleunigung organisationaler Prozesse betrieben. Erst in der Anwendung und mittelfristigen Etablierung werden Effekte sichtbar, die sich zunehmend als paradoxale Gleichzeitigkeit effizienzsteigernder und hemmender bis geradezu zerstörerischer Tendenzen beschreiben lassen: An die Seite der Ermöglichung von informeller, schneller Kommunikation treten Phänomene von Verhinderung von Kommunikation durch Überlastung und Diagnosen von Überforderung bis hin zur Burnout-Debatte, die vielfach mit modernen Medientechnologien in Verbindung gebracht wird. Die gesellschaftliche Etablierung neuer Medientechnologien ist vor diesem Hintergrund ein besonders herausforderndes Managementproblem in Organisationen, weil die Seite menschlicher agency in dem Prozess des Managements bedarf (welche Medien werden wie in Organisationen eingesetzt, gefördert, verboten usw.), die mediale agency sich aber zugleich immer wieder des menschlichen Managements durch ihre meist anfangs unklaren Eigenlogiken entzieht. Das Promotionskolleg will vor diesem Hintergrund beispielhafte Fälle der Etablierung von spezifischen Medientechnologien in Organisationen als exemplarische Studien der Potentiale und Grenzen des Management von gesellschaftlichem, sozialem und kulturellen Wandel durchführen.

Ein weiteres Anwendungsfeld von Performing Media ist der zweite, spezifischere Forschungsschwerpunkt des Programms:

Forschungsschwerpunkt 2 (Lead PH Karlsruhe)

Die Untersuchung von (individuellen, gruppalen, organisationalen und institutionellen) Lernprozessen in hybriden Mensch-Medien-Konstellationen

Mit der Entwicklung digitaler und zunehmend hybrider Medientechnologien verbinden sich gleichzeitig große gesellschaftliche Hoffnungen ebenso wie Sorgen, die sich u.a. in Bereichen des Lernens und im Verlauf von Bildungsprozessen über die gesamte Lebenszeit zeigen. Digitalen Medientechnologien wird einerseits diskursiv das Potential zugeschrieben, besonders erfolgreiche Lernprozesse zu ermöglichen bspw. durch eine größere Immersion und hohes Involviertsein der Nutzer sowie eine positive emotionale Konnotation z.B. durch ‚Gamification’ der Lernprozesse. Andererseits besteht die Sorge, dass solche Technologien die Aufmerksamkeit von den Lernzielen ablenken und vergleichsweise ‚oberflächliche’ Erfahrungen generieren, die mit einer vertieften Auseinandersetzung etwa über traditionelle Buchmedien nicht konkurrieren können. Fragen des mediengestützten Lernens stellen sich dabei nicht nur im schulischen Kontext, sondern in der gesamten Breite bildungswissenschaftlicher Felder, in der Hochschule ebenso wie in Unternehmen oder anderen Organisationen, die sich auf dem Gebiet der Weiterbildung oder des aktiven Wissensmanagements betätigen, in der Beratung ebenso wie im Coaching und Mentoring. Das Promotionskolleg widmet sich in der Analyse spezifischer Felder und konkreter Fallbeispiele einem vertieften Verständnis der komplexen Lernprozesse in hybriden Mensch-Medien-Konstellationen, ohne vorab Stellung auf Seiten der Förderer oder Kritiker zu beziehen.